Corinna Harfouch in ihrer Rolle als Valerie, mit Sonnenbrille, starrem Blick, fährt in ihrem Audi, in der ersten Szene des Films; und sie ist nicht bei der Sache. Wir sehen sie erschrecken, bremsen, jemand schreit auf französisch; nichts iert, zum Glück. Und eigentlich tangiert der Beinaheunfall die Harfouch auch nur sehr tangential. Sie hat andere Sorgen. Verhärmt sieht sie aus, in der Fremde, in Marseilles, sie, die kaum französisch kann; sie, die verzweifelt ist, weil ihr Sohn verschwunden ist.
Valerie hat Hilfe gerufen, Jens, den Ex-Freund des vermissten Sohnes Simon. Mit ihm hat sie eigentlich gar nichts zu tun, nun soll er vielleicht helfen, irgendetwas herauszufinden: ist in der Wohnung irgendetwas merkwürdig, weiß er etwas über Jens neues Auto, den gelben Fiat-Sportwagen; weiß er etwas über Jens Bekanntschaften der letzten Zeit? Es ist natürlich vergebliche Mühe, woher soll Jens das wissen, er hatte ein paar Mal mit Simon telefoniert, und Simon hatte ihm nichts erzählt. Sie sind ja auch seit zwei Jahren nicht mehr zusammen. Tut mir leid, dass ich damals so unwirsch war, sagt Valerie gleich beim ersten Treffen in Marseilles. Und Jens lacht über das altmodische unwirsch sie hatte kaum mit ihm gesprochen, vor Jahren, als Simon seinen Freund Jens der Mutter vorgestellt hatte. Und Valerie hatte diesen Antrittsbesuch des Geliebten des Sohnes nicht ernst genommen, Simon hat immer gewusst, wie er sie provozieren kann, sagt sie.
Jetzt lebt Simon seit Jahren in Marseilles, hält nur noch gelegentlichen telefonischen Kontakt, ist tatsächlich zu dem Fremden geworden, der er für die Mutter schon lange war. Das Problem ist nicht das Schwulsein; sie ist genervt vom ewigen Flirten, vom Unverbindlichen, vom Ungebundenen des schwulen Sohnes, des schwulen Jens. Und braucht doch Jens, um Simon zu finden. Und Jens setzt auch alles daran, ihn finden, vielleicht war es zumindest für ihn ja doch die große Liebe gewesen
Jan Krüger, der Regisseur, hält ganz bewusst die Waage zwischen Handlung dem Verfolgen von Spuren, dem Nachgehen von Hinweisen und dem inneren Drama der Figuren; diese, sehr gut besetzt und gespielt von Corinna Harfouch und Nico Rogner, sind immer im Mittelpunkt, ihre changierenden Perspektiven auf das mögliche Geschehen um Simon geben dem Film die nötige Dynamik, ihre Erkenntnisse über die eigene Beziehung zum Vermissten den inneren Drive. Es ist ein kleiner Film, in ein paar Wochen im Herbst 2010 in Marseilles gedreht, mit kleinem Ensemble, der Ausgangspunkt, die Suche einer Mutter nach ihrem Sohn, mit dem sie den Kontakt verloren hat und den sie mit dessen Ex-Liebhaber wiederfinden möchte, beruht auf einer wahren Begebenheit.
Die gefährlichen Strömungen der Konflikte liegen unterirdisch in diesem Film, der einfach nur von der Suche nach einem Vermissten erzählt; nach einem, der nach offiziellen, polizeilichen Maßstäben gar nicht vermisst ist, er hat Urlaub genommen, ist weggefahren. Aber hat er wirklich Tickets für die Fähre nach Marokko gekauft? Ist er wirklich eingestiegen? Mit wem wollte er fahren? Woher hat er das schicke neue Auto, von dem er keinem erzählt hat? Zu Valerie und Jens stößt Camille, eine Arbeitskollegin, mit der Simon etwas laufen hatte: Wie kann er einfach entscheiden, jetzt eine Frau zu lieben, und wie lange hätte das gut gehen können?
Hinweise führen ins Leere, oder auch mal einen kleinen Schritt weiter, aber entscheidende Impulse bei der Suche bleiben aus. Das Ende des Films ist ein Abschluss. Und es hält zugleich alles offen, im Vagen, im Ungefähren, so, wie alles im Vagen, im Ungefähren verbleibt, wie auch die Beziehungen von Simon an der Oberfläche waren. So, wie die Beziehung zur Mutter war. Man redet miteinander, ohne sich (wieder neu) kennenzulernen, man hält Kontakt, aber keine Nähe. Und man ist doch miteinander verbunden: Valerie wie auch Jens wie auch Camille, untereinander und mit Jens, und diese Verbundenheit lernen sie bei der gemeinsamen Suche erst richtig kennen. Eine Verbundenheit, die vergangen ist, die vielleicht nie wiederkehrt. Zumindest nicht, wie sie war.
Fazit: Ein kleiner, geradliniger Film, bei dem an der Handlungsoberfläche wenig geschieht, der aber viel Tiefgang hat, was die Entwicklung von Beziehungen angeht.